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Lucia Baumgartner
Veröffentlicht
am 31.10.2023
LeuteInterview mit Zeno Oberkofler

„Die Stimmung ist vergiftet“

Veröffentlicht
am 31.10.2023
Vom Schülersprecher zum Landtagsabgeordneten: Im Interview mit BARFUSS diskutiert Zeno Oberkofler die Vielschichtigkeit der Klimapolitik, seine Visionen für Südtirol und die Rolle junger Generationen in der Politik.
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BARFUSS trifft Zeno Oberkofler in seiner „Zeitungslese-Bar“ in Gries. Nach den ersten drei Fragen kommt ein Mann an den Tisch, gibt Zeno lachend die Hand und sagt: „Gratuliere zum Erfolg, gell“. Der 25-jährige Bozner ist seit dem 23. Oktober 2023 offiziell Jung-Politiker.

BARFUSS: Zeno, woher kommt deine Leidenschaft für die Politik?

Zeno Oberkofler: Die Leidenschaft für Politik hat sich sicher im familiären Umfeld entwickelt. Wir haben zu Hause oft über Politik geredet und diskutiert. In der Schule war ich dann Schülersprecher. Ich habe mich gern auf Debatten eingelassen, mitgeredet und mitdiskutiert. Mit der Zeit habe ich mich intensiv mit dem Klimawandel beschäftigt, mich in die Thematik eingelesen, mir Dinge dazu angeschaut und so weiter. Ich konnte damals nicht verstehen, warum niemand über diese Dinge spricht, wo es doch so ein wichtiges Thema für unsere Gesellschaft ist. In der Schule wurde ich dann oft Öko-Fuzzi genannt, weil ich dieses Thema überall eingebringen wollte.

Du studierst zurzeit Wirtschaftswissenschaften in Ferrara. Was gefällt dir an der Wirtschaft?

Die Leidenschaft für die Wirtschaft entstand durch den Aktivismus. Sehr viele Naturwissenschaftler:innen setzten sich mit dem Thema Klima auseinander. Aber die Wirtschaftswissenschaftler:innen fehlen. Wenn wir das Klima schützen und unser Wirtschaftssystem umgestalten möchten, brauchen wir knallharte Wirtschaftspolitik. Es geht um Investitionen, um Finanzpolitik. Ich bin also von zwei Adern durchzogen: die eine lebt von der Musik und der Kultur und die andere von naturwissenschaftlichen Fakten: Mathematik, Physik, Biologie. Wirtschaftswissenschaften war daher die ideale Studienrichtung für mich, weil sie die mathematischen Daten mit der Gesellschaft verbindet.

Ich habe Lust auf die Politik, mir gefällt die Politik und es braucht Menschen, die das Thema Klima voranbringen. 

Wann hast du dich entschieden, aktiv in die Politik einzusteigen?

Es gab nie einen Moment, an dem ich gedacht habe: So, jetzt will ich in den Landtag. Es geht mir nämlich nicht darum, Themen nur anzusprechen. Ich will diese auch konkret lösen. Wenn man sich mit dem komplexen Thema Klima beschäftigt, weiß man, dass es eine riesengroße Herausforderung darstellt, gute Klimapolitik zu betreiben. Ich habe Lust auf die Politik, mir gefällt die Politik und es braucht Menschen, die das Thema Klima voranbringen. 

Welche war deine bisher größte Klimasünde?

Wahrscheinlich das Fliegen. Ich hatte einen dreiwöchigen Sprachkurs in England besucht und musste dann innerhalb kürzester Zeit, für eine wichtige Orchesterprobe, nach Hause. Es ging nicht anders. Um mich ein wenig rauszureden: Natürlich muss jede:r von uns darauf achten, den eigenen Fußabdruck so klein wie möglich zu halten und so nachhaltig wie möglich zu leben. Dennoch ist der C02-Fußabdruck eine Erfindung der großen Ölkonzerne, mit einer klaren Strategie dahinter: Schau du zuerst mal, dass du nicht mehr fliegst, Vegetarier:in wirst und nur mehr Rad fährst, vorher brauchst du mir nicht auf die Finger zu schauen. Immer noch sind viele fleißig dabei, den Lebensstil zum Beispiel von einzelnen Klimaaktivisten:innen unter die Lupe zu nehmen, um dadurch potentiell die Legitimität ihres Protestes in Frage zu stellen, anstatt ein fossiles Wirtschaftsmodell zu hinterfragen.

Es geht nicht darum, unglücklich auf einem hohen Posten zu verweilen, sondern zu schauen, dass man ein schönes Leben führt und darauf achtet, dass es einem gut geht.

Hast du Vorbilder?

Ja, mehrere. Ein Vorbild ist Riccardo Dello Sbarba. In den letzten Jahren hat er eine wichtige Arbeit geleistet. Er hat Gesetze bis ins letzte Detail durchstudiert. In dieser Detailarbeit hat er versucht, über Themen aufzuklären, Dinge zu verändern, zu bewegen und weiterzubringen. Ein weiteres Vorbild ist meine Bratschenlehrerin. Ich habe sie vor zwei Jahren kennengelernt. Sie spielte früher die erste Bratsche bei den Berliner Philharmonikern. Sie hatte eine Position, von der jede:r Musiker:in träumt. Nach einiger Zeit hat sie dann gekündigt. Sie meinte, dass sie diesen Druck, diesen Stress nicht haben wollte, dass sie viel lieber im Quartett spielt und freiberuflich unterwegs ist. Und diese Einstellung, die sie zum Leben hat, gefällt mir. Es geht nicht darum, unglücklich auf einem hohen Posten zu verweilen, sondern zu schauen, dass man ein schönes Leben führt und darauf achtet, dass es einem gut geht.

Das Vorzugsstimmen-System empfinde ich als höchst problematisch.

Welche Vor- oder Nachteile bringt es, jung in die Politik einzusteigen?

Für junge Menschen ist es auf jeden Fall schwierig, überhaupt in die Politik zu kommen. Das liegt einerseits am Vozugsstimmen-System, das ich sehr problematisch finde und andererseits an den Geldmitteln, die für einen Wahlkampf gebraucht werden. Man braucht ein hohes Budget und muss sehr viel Geld investieren. Viele können sich das einfach nicht leisten.

Wie hast du dir den Wahlkampf finanziert?

Ich habe mir in den letzten Jahren durch die Musik Geld zusammengespart, von dem ich mir eigentlich eine Bratsche kaufen wollte.

Du hast also die Politik der Bratsche vorgezogen?

Ja. Als ich beschlossen habe zu kandidieren, wollte ich das zu hundert Prozent machen. Ganz nach dem Motto ci credo fino in fondo. Also dachte ich mir: Jetzt habe ich diese 5.000 Euro zusammengespart und die will ich für den Wahlkampf nutzen.

Ich bin nicht weniger berechtigt hier zu sein, nur weil ich jung bin.

Warum meinst du, dass sich so wenige junge Menschen in die Politik trauen?

Als junger Mensch muss man sich durchsetzen können. Das ist nicht so einfach, obwohl immer alle behaupten, dass man der Jugend Raum gehen soll, dass die Jungend die Zukunft sind und so weiter. Wenn die Jugend dann wirklich den Anspruch erhebt, mitreden und mitentscheiden zu wollen, hören nur wenige richtig zu. Als junger Mensch muss man sich stärker beweisen als Menschen der älteren Generationen: Man muss beweisen, dass man sich auf einem bestimmten Gebiet gut auskennt, dass man weiß, wovon man redet. Außerdem heißt es nicht, dass nur weil man jung ist, automatisch keine politische Erfahrung besitzt. Ich bin nicht weniger berechtigt hier zu sein, nur weil ich jung bin. Wir wollen alle irgendetwas bewegen, wir haben alle etwas mitzubringen und auch meine Stimme ist wichtig.

Findest du also die Aussage „Die Jugend ist unsere Zukunft“ problematisch?

Ja, weil mit dem Satz „Die Jugend ist unsere Zukunft“ verschwiegen wird, dass die Jugend auch unser Hier und Jetzt ist. Jene Menschen, die in der Gegenwart das Sagen haben, sollten realisieren, dass sie für die Jugend Platz machen müssen. Man sagt das immer so leicht, die Jugend – unsere Zukunft. Aber viele denken dabei an: Ja, die sind die Zukunft.

Sich von populistischen Kräften treiben zu lassen, führt eigentlich nur dazu, dass man sie unterstützt.

In einem Interview hast du gemeint, dass es dir wichtig sei, einen „tono gentile“ zu verwenden. Hast du das Gefühl, dass dich die Menschen hören?

Ich weiß nicht, ob diese „tono gentile“-Methode die richtige ist. Aber es ist meine Methode. Ich könnte es nicht anders machen, das wäre dann nicht mehr ich. Mangelnde Authentizität hält junge Menschen von der Politik fern. Viele spielen sich in der Politik auf. Das laute, populistische Schreien ist nicht meins. Es wäre falsch, auf diese lauten Töne noch einmal lauter draufzuhauen. Man sollte stattdessen versuchen, die Menschen näher an die Politik zu bringen, ihnen die Dinge zu erklären und auch die Komplexität der Lage zu veranschaulichen. Es geht um das Gespräch, das gegenseitige Zuhören und das Innehalten wenn man auf eine konträre Position trifft. Es geht mir einfach um einen menschlicheren Umgang. Sich von populistischen Kräften treiben zu lassen, führt eigentlich nur dazu, dass man sie unterstützt. Wichtig ist, eine eigene Linie zu haben, dass man Vorschläge bringt und diese gut kommuniziert.

Was hältst du von den Aktivist:innen der Letzten Generation? Gemälde mit Suppe beschmeißen oder sich auf die Fahrbahn kleben – bringt das was für unsere Zukunft?

Mit diesen Aktionen ist es schwierig. In zwei Jahren wird man sehen, ob sie kontraproduktiv waren oder ob sie etwas bewegen konnten. Ich weiß es nicht. Aber ich habe gemerkt, dass die Stimmung total vergiftet ist. Wenn ich mich als Klimaaktivist von Fridays for Future vorstelle, dann heißt es sofort: Ahh, du bist einer von denen, das geht ja gar nicht, du verstehst überhaupt nichts, anstatt über das Klima zu reden, klebt ihr euch auf die Fahrbahn und so weiter. Es hat sehr viele Menschen komplett – langfristig und nachhaltig zu einer Abwehrhaltung geführt. Die wollen dann von Klimaschutz absolut gar nichts mehr wissen, wollen nichts damit zu tun haben. Durch solche Aktionen hat man den Zugang zu Menschen verloren. Das finde ich sehr problematisch.
Ich kann auch Menschen verstehen, die sagen: i pocks oanfoch nimmer. Wenn man sich die Daten anschaut und sich bewusst wird, auf was wir zusteuern und wie wenig für ein Verhindern riesiger Katastrophen gemacht wird, kann man schon mal verzweifeln.

Es gibt über junge Menschen viele Vorurteile und negative Verallgemeinerungen, die ich nicht in Ordnung finde.

Du stehst auch für die Jugend ein: Worüber ärgerst du dich manchmal? Kommt es vor, dass dich die Jugend enttäuscht?

Man sollte die Jugend nicht idealisieren aber sie auch nicht pauschal schlecht reden. Es gibt über junge Menschen viele Vorurteile und negative Verallgemeinerungen, die ich nicht in Ordnung finde. Manche Jugendliche interessieren sich mehr für Politik, andere weniger. Dazu muss ich sagen, dass die Podiumsdiskussionen, die von Jugendlichen organisiert wurden, die besten waren. Sie waren vorbereitet, die Fragen waren klar und präzise formuliert, sie haben sich nicht mit leeren Antworten zufriedengegeben, sie haben nachgehakt. Alle Parteien haben zum Beispiel gesagt, dass die Löhne erhöht werden sollen. In einer Schule haben dann die Jugendlichen gefragt: Ja, aber wie wollt ihr das machen? Wo kommt denn dieses Geld her? Im Vinzentinum in Brixen gab es einen Tisch, an dem fünf Jugendliche während der gesamten Podiumsdiskussion das Gesagte live auf Fakten geprüft haben.
Viele Junge interessieren sich für die Politik, aber sie wünschen sich konkrete Antworten und keine üblichen Floskeln. Was mir in Südtirol manchmal fehlt, ist das Rebellische. Dass eine gesamte Klasse zum Beispiel beschließt, zu den Fridays for Future zu kommen, ohne darüber nachzudenken, ob die Abwesenheit von der Lehrperson entschuldigt wird oder nicht. Denn wenn man als Klasse demonstrieren würde, wenn man zusammenhält, dann kann die Lehrperson sowieso nichts dagegen machen. Ja, der menschliche Zusammenhalt und das Rebellische – das fehlt mir.

Viele junge Menschen zieht es weg von Südtirol…

Es ist wichtig, Auslandserfahrungen zu machen, andere Realitäten kennenzulernen und einmal von Südtirol wegzukommen. Südtirol hat manchmal eine zu engstirnige Mentalität. Hierzulande muss immer alles perfekt sein. Als junger Mensch soll man an die Uni zum Studieren, dann eine Arbeit finden, ein Haus bauen, eine Familie gründen und so weiter. Kaum hegt man andere Gedanken, wird man zum Außenseiter. Zusätzlich stellt die psychische Gesundheit ein Tabuthema für Südtirol dar. Ich habe manchmal das Gefühl, dass es einem Menschen hier im schönen Südtirol nicht schlecht gehen darf, schließlich sind wir doch einer der lebenswertesten Orte in Europa oder etwa nicht?
Ich war selbst im Ausland, das hat mir sehr gutgetan. Aber ich bin auch gerne wieder zurückgekommen, weil ich mich hier zu Hause fühle. Viele können sich aber eine Rückkehr nicht leisten. Wenn dich deine Familie nicht unterstützen kann, wenn dir deine Eltern keine Wohnung oder kein Haus vererben, dann ist es für einen jungen Menschen sehr schwierig. Das finde ich sehr problematisch, denn jede:r sollte die Möglichkeit auf Rückkehr in die Heimat haben – auch wenn man gerade erst in den Beruf eingestiegen ist und noch nicht viel Erspartes besitzt.   

Sollten bei bestimmten Themen nur junge Menschen abstimmen dürfen? Wäre das „demokratischer“?  

Nein. Aber junge Menschen sollten bei bestimmten Themen mitbestimmen dürfen. Ich denke zum Beispiel an die Jugendbeiräte, die eigentlich jede Gemeinde haben sollte. Die Jungen dürfen dabei ihre Meinung äußern, aber mitbestimmen dürfen sie nicht. Eine Idee wäre, dass bei bestimmten Themen, die für junge Menschen relevant sind, der Jugendbeirat eine Stimme in der Gemeinde hat. Ich denke, dass das sehr viel verändern könnte, denn in einem Gemeinderat zählt jede einzelne Stimme.

Und wählen ab 16? Wie stehst du dazu?

Ja, das ist ein Thema, das ich voranbringen will. In Südtirol herrscht bei diesem Thema parteiübergreifender Konsens. Wählen ab 16 wäre aus meiner Sicht gerecht, aus den folgenden drei Gründen: erstens, weil es einen demografischen Gap gibt. Es gibt sehr wenige Jungwähler:innen und automatisch wird dann eher Politik für die älteren Generationen gemacht. Zweites denke ich, dass die Jungen mit den Entscheidungen von heute am längsten leben müssen und deshalb auch das Recht haben sollten, mitentscheiden zu dürfen. Drittens sollte bereits in der Oberschule eine Debattenkultur eingeführt werden. In meiner Klasse war es so, dass sich meine Mitschüler:innen erst dann mit Politik beschäftigt haben, wenn sie 18 wurden und die Wahlen vor der Tür standen. Wenn man das Wahlrecht ab 16 einführen würde, könnten die Debatten auch in der Schule schon viel früher thematisiert werden: wie argumentiert man richtig, welche Argumente werden angeführt, wie gehe ich mit anderen Meinungen und Ansichten um und wer schreit eigentlich nur rum.  

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